2017 - Ohne kulturelle Berührungsängste

TGS begeistert 400 Narren mit fünfeinhalb Stunden Programm

 

Schlumberland - „Ich bin froh, silbern und blau zu sein“. Dem Bekenntnis von Florian Lebherz schlossen sich am Samstagabend um die 400 begeisterte Fans der TGS-Fastnacht an: Das Finale schon in Sichtweite, erhoben sie gemeinsam mit rund 200 Akteuren auf und hinter der Bühne die Gläser auf ein stolzes Jubiläum und die gelungene Sitzungs-Premiere im 120. Jahr der Turnerfastnacht.

 

 

Als Präsidentin Suse Sommer ihre Schelle zur Eröffnung des fünfeinhalbstündigen Sitzungsprogramms schwang, standen im ausverkauften Riesen-Saal noch mehr gute Gründe zum Feiern an. Einen davon lieferte sie selbst: Zum fünften Mal stand sie als Frontfrau dem Elferrat vor und kassierte später ein dickes Lob von Prinz Robert II., selbst bekennendes TGS-Gewächs und mit seiner Prinzessin Katharina selbstredend Ehrengast. Platz nehmen durften die Tollitäten in Gesellschaft ihrer möglichen Thronfolger: Mit Prinz Paul (Best) und Prinzessin Nina (Unger) hatten die TGS-Karnevalisten zum 33. Mal ein Kinderprinzenpaar inthronisiert. Ihnen zur Seite stehen die Pagen Paulina Purfürst und Daniel Ott.

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Das Kinderprinzenpaar der TGS. ©Hampe, Axel

Auf karnevalistischen Altadel - wenn auch noch jung an Jahren - verließ sich die Regie am Start: Mit Nina Zöller (2016) und Leonie Krumb (2015) spielten sich zwei Ex-Kinderprinzessin beim Eröffnungsdialog im fröhlichen Wechsel mit den Ex-Pagen Emelie Ebert und Emma Sulzmann die Bälle zu. Kaum saßen ihre aktuellen Nachfolger glücklich auf ihrem Thron, zog auch schon der erste Sturm herauf: Seemannsgarn spannen zwölf tanzende „Boneys“ von der Minigarde. Sonja Mehazion und Ann-Sophie Walter hatten die Mädels trainiert. Noch mehr blaues Narrenblut fließt in den Adern der „Pausensänger“, die sich im Rampenlicht erstmals formierten und das Auditorium erst mit dem Hit „Chöre“, nach der Pause dann noch einmal mit „Hulapalu“ in Bewegung brachten: Max Zöller (2014) und Bennet Beike (2016) waren Kinderprinzen, Remig Halama und Julian Schmidt immerhin Pagen. Jetzt verrichten die Hochgeborenen als Büttenschieber und Bühnenhelfer handfeste Arbeit und wurden beim Gesangsauftritt von Lukas Seibel und Mundschenk Niklas Fassing unterstützt.

Mit der Sunrise-Avenue-Show der Midigarde stieg die Drehzahl nahe an den roten Bereich. Unter Leitung der scheidenden Trainerinnen Sonja Merhazion und Ann-Sophie Walter liefen die Mädels zu Bestform auf. Gemütlich angehen ließen es Peter Zelder und eine sächselnde Suse Sommer: Sie bucht eine Single-Kreuzfahrt auf der „Aida“, er ist der schnieke Seeoffizier - was daraus wird, kann sich jeder denken. Das Geschwisterpaar würzte sein schlüpfriges Zwiegespräch mit neckischen Liedchen und Zweideutigkeiten.

Ein optischer Glanzpunkt des Abends geht auf das Konto des TGS-Miniballetts: In drei Schichten schickten die Trainerinnen Sofia Weber und Catarina Clarizia ihre insgesamt 36 Akteure auf die Bretter und ließen sie zu Klassikern von AC/DC über Steppenwolf bis Queen abrocken. Genügend Startschwung gab das für „Olga Orange“: 29 Jahre Bühnenpraxis und jede Menge Fastnachtsroutine hatte der Travestiestar auszuspielen und punktete im zartrosa Kleidchen - graziler Flamingo oder Schweinchen Dick? - mit so manchem Schwank aus der Schönheitsfarm. Zudem hat Olga was, das sonst keiner hat: Die Zweitfrisur von Donald Trump. Mit einem Regentanz schickte die Formation „Let’s Dance“, von Celine Semlitsch und Anne Eiles trainiert und wetterfest ausstaffiert, die Narren in die Pause.

Zum Widereinstieg zückte die TGS-Regie entschlossen die Soundkarte: „Discover“ war Trumpf. Dominik Lirsch, Carlos Unger, Tim Kröger, Fabienne und Frederick Nay hatten keinerlei Mühe, die erwartungsvolle Jeckenschar mit Rock-Evergreens und Chartsstürmern aufzumischen. Derart angeheizt, lernte das feierlaunige Volk die neuen Würdenträger der TGS-Karnevalisten Kennen: Monika Weber stellte die Präsidentin als neue Ratsdame vor. Die Riege der Ratsherren ergänzt Thorsten Stellmacher und überraschte mit einem Geständnis: Noch nie hatte der gebürtiger Berliner und Neu-Schlumber eine Gala-Sitzung besucht. Herzhaftes „UiUiUi“ aus dem Saal - ein Traumstart vor solcher Kulisse.

Mit donnerndem Applaus gefeiert sah sich sodann Ehrenpräsident Manfred Kreis: Mit dem Verdienstorden in Gold und Brillanten überreichte ihm ein Abgesandter der Interessengemeinschaft Mittelrheinischer Karneval die höchste Auszeichnung jener Narrengilde. Verdient hat sich Kreis, selbst Bezirksvorsitzender der IG, die Ehre unter anderem mit dreimal elf Jahren als Schellenmann.

Nach der zweiten Einlage der Pausensänger nahm die Show wieder Fahrt auf: Eine mitreißende Vorstellung nach Songs der Band Pur lieferte die Elfergarde der TGS ab. Da mitzuhalten, fiel selbst einem sportlichen Wortakrobaten wie Wolfgang Braun nicht leicht: Wacker erstieg der Offenbacher mit dem Gewicht seiner 22 Jahre Bütten-Erfahrung bei den Silberblauen sein Kickboard und sinnierte Vers für Vers, wie sich der Gesundheitswahn der Gattin mit den passenden Mahlzeiten zur Fitness-Schinderei kontern lässt.

In einem wahren Farbenrausch setzte der Ferienflieger der Formation „Showtime“ zur Landung in Brasilien an. Unter der Leitung von Sabine Matuschzyk hatten die Mädels erfolgreich für den Karneval in Rio geübt und begeisterten mit der eindrucksvollsten Kostümschau des Abends. Paul Sommer, ganz der aufgeschlossene Genussmensch, hätte daran wohl Geschmack finden können - wäre ihm beim Carsharing für die weite Reise nach Froschhausen nicht die sauertöpfische Vegetarierin Saskia Ehmig ins „BlaBlaCar“ gestiegen. Bei seinem dritten Schlagabtausch um Trends, „Musthaves“ und „Nogos“ blieb sich das Duo treu und verschaffte dem politisch korrekten Zeitgeist einen Blick in den Narrenspiegel.

Einiges mit Glück am Hut hatten sodann die Dancing Sisters - ob mehr im Spiel oder doch in der Liebe, blieb nach dem rasanten, glänzend choreografierten 20-Minuten-Spektakel offen. Dagegen wusste Florian Lebherz als 108-jähriges Fräulein Baumann genau, wo es den Jecken juckt. Bei seinem zweiten Auftritt noch ein Neu-Narr, schäkerte er - ächzend und seufzend auf einen Kappenträger vom Elferrat gestützt - gleichermaßen mit Promis und „Freibiergesichtern im Publikum“, kokettierte mit Gebrechen, klaubte Geistesblitze aus dem Wetterleuchten der Erinnerungen und bewies auch Sinn für praktische Fragen: Wo ist das Hörgerät gelandet, wenn das Rheumazäpfchen im Ohr steckt?

Weltoffen wie sie nun einmal sind, haben die TGS-Karnevalisten auch keine Berührungsängste mit dem Orient: „Magisch Arabisch“ ließ das Männerballett unter der Leitung von Sabine und Saskia Ehmig Aladins Wunderlampe leuchten und wurde für das märchenhafte Schlusskapitel lautstark gefeiert. Die grazilen Herren hatten ihre Beifall ebenso verdient wie das ganze Programm. (rdk)

 

Quelle:
Offenbach Post 23.01.2017 zur Bilderstrecke